close to you

2009  // bonn  //  ballsaal

cocoondance

komposition ritzenhoff

 


// CLOSE TO YOU
Rafaële Giovanola/CocoonDance (Schweiz/Bonn)

Tanz/Choreografie Rafaële Giovanola
Coaching In-Jung Jun
Dramaturgie Rainald Endraß
Musik Ritzenhoff
Licht Marc Brodeur
Uraufführung


Immer mehr Bereiche unserer sozialen Welt werden mit Begriffen wie „Performance“ und „Authentizität“ beschrieben. Am intensivsten hat sich die Popkultur damit auseinander gesetzt, denn die Faszination und der Erfolg dieser Szene orientiert sich über die Musik hinaus grundsätzlich an der Frage: Was ist das eigentlich für ein Typ, der gerade spielt, wie sieht er/sie aus, was will er/sie? Eine Frage, der sich inzwischen kein Kulturereignis mehr entziehen kann. „Close to You“ stellt sich der Frage nach dem Wechselverhältnis von Musik und Bewegung in Konzert- und Theateraufführungen, nach dem aktuellen Begriff der Performance und entwickelt daraus eine künstlerisch eigenständige Form.



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Theater - Anina Valle Thiele
Entblößt vor aller Augen
Das Theater im Ballsaal präsentierte im Rahmen des 2. Internationalen Bonner Tanzsolofestivals die zwei Solo-Choreographien „Black Shooting“ und „Close to you“.
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Wirkte der erste Teil des Abends morbide-bedrohlich, ja mutete bestärkt durch Kulisse und Kostüme nahezu beängstigend an, so schuf Rafaële Giovanolas knapp 30-minütige Solo-Choreographie den vollständigen Gegeneffekt.

Mit einem koketten Kick stößt sie den roten Teppich an und rollt ihn mit spöttischem Blick aus, um leichtfüßig ein paar klassische Balletttanzschritte zu vollführen.

Lasziv beugt sie sich nach vorn und haucht ins Mikrophon: „Mon ami, mon enemie! Ça va?“ Souverän verführt sie das Publikum. Dabei schimmert die Ambivalenz und Vielschichtigkeit des Auftritts eines Stars, einer Diva, einer Pop-Ikone durch. Denn Giovanola ist sich nicht nur der gespielten Nähe zum Publikum bewusst, sie schafft diese, um die Illusion zugleich wieder zu zerstören und kratzt damit am Bild des unnahbaren Stars. Zugleich spielt sie mit der gewonnenen Nähe zum Publikum, indem sie sich so weit als möglich annähert, um sich im letzten Moment zu entziehen.

Gekonnt kombiniert sie Poptanzelemente mit klassischen Ballettschritten und imitiert das Stolzieren der Stars auf dem roten Teppich. Die von Jörg Ritzenhoff komponierten Lieder erinnern an moderne französische Popgruppen wie Les Rita Mitsouko oder Paris Combo. Giovanolas singt sie mal leise verschüchtert, mal bestimmend betörend.

Zum Abschluss interpretiert sie den Titelsong „Close to you“. Das Publikum, das sich im zweiten Teil des Abends mangels Bestuhlung an den Wänden herumdrückt, ist fasziniert: Man hat genossen und gelernt. Denn sowohl Black Shooting wie Close to you sind ein ästhetisches Erlebnis und geben zugleich Anlass zur kritischen Reflexion.

 

Zum Beispiel im Popmusikgeschäft, in dem die Stars zwischen medialer Selbstinszenierung und virtueller Internetexistenz eine unmittelbare Authentizität behaupten. Rafaële Giovanola rollt in ihrem Stück "Close to You" ironisch den roten Teppich aus für die Ikonen der Videoclips.

Virtuos spielt sie mit dem Backstage-Elend und dem Triumph auf der Bühne. Sie giert nach dem Mikro und fürchtet sich vor dem Auftritt; sie schwebt als spitzentanzende Primaballerina durch den Raum und nimmt auf der realen Hinterbühne, die die erträumte große Bühne ist, die Ovationen des Publikums entgegen.

Ihre gut halbstündige Studie über die Gleichzeitigkeit von individueller Präsenz und Kunstfigur ist ein vielschichtiges Meisterwerk aus Melancholie und Brillanz. Zumal sie auch noch fantastisch singen kann. Den von Jörg Ritzenhoff komponierten Liedern (inspiriert von dem französischen Pop- und Rockduo "Les Rita Mitsouko") aus dem Off leiht sie ebenso ihre Stimme wie dem von ihr selbst getexteten und live gesungenen Titelsong.

Wie bei Popkonzerten ist Stillsitzen nicht angesagt. Die Stühle sind also rar bei "Close to You". Die Illusion der subjektiven körperlichen Nähe zu dem Objekt der Unterhaltungsindustrie gehört ja zum mythischen Ritual. Ritzenhoff und Giovanola haben das bei der Premiere witzig durchbrochen, indem sie als Zugabe eine flotte Rocksohle hinlegten.