1991 // köln // eigenproduktion/DLR
text/sprecher // thomas kling
komposition/produktion/regie // ritzenhoff
Thomas Kling / Jörg Ritzenhoff
TIROLTYROL
Hörstükk. CD
CD - Gesamtspieldauer 41’20 min. - Euro 15.40
Pendragon Verlag, Bielefeld
ISBN: 3-929096-14-X
Die gebrannte Performance
Thomas Kling und Jörg Ritzenhoff machen die Landschaftsphotographie hörbar
Thomas Kling, der 1957 in Bingen geborene Dichter und Essayist, nannte das Hörbuch in einem kurzen Aufsatz die "gebrannte Performance". In dieser offenbare sich nichts weniger als
der "Geist der geschriebenen Sprache"; Aufführungspraxis sei die "Durchführung der Dichtung", wie es in "Graz und Gedächtnis" heißt, einer Erinnerung an den Steirischen Herbst.
Bei der Darbietung trenne sich "verdammt rasch die Spreu vom Weizen", was die wahren "Rampensäue" und "Histrionen" angehe, um bei Klings Wortwahl zu verharren. Er selbst trat
bereits in den 80er Jahren mit künstlerischen Koproduktionen in Erscheinung. Gemeinsam mit Frank Köllges und dem Medienkünstler Jörg Ritzenhoff sammelte er Bühnenerfahrung. Eine
dieser gemeinsamen Arbeiten, das in der gewohnt eigenwilligen Orthographie als "Hörstükk" bezeichnete "TIROLTYROL", liegt nun auf CD vor.
Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Zyklus, der in Klings drittem Gedichtband "brennstabm" 1991 erschien. Aus demselben Jahr stammen die Aufnahmen, die dennoch unverbraucht
wirken. Der Zyklus ist als "23-teilige landschafts-photographie" konzipiert, eine Apostrophierung, die die Thematik sowie deren Erschließung, die Recherche und Variation von
tradierten Wort- wie Bildzeugnissen, andeutet. Landschaft, Brauchtum, Dialekt und (Sprach-) Geschichte fügen sich in ein weites Panorama, vermittelt durch Gedichte, die, lakonisch und
selbstbewusst im Ton, spielerisch vom "tiroler hai" zum "tyroler haiku" führen. Die Absturzfotos, die im Lawinenlicht betrachtet werden, stehen neben dem gefallenen Unterjäger
des 1. Weltkriegs, der sich im Gemäldegedicht wiederfindet. Ungewöhnliche Metaphern, der Sprachgeschichte wie dem historischen Geschehen abgelauscht, veranschaulichen die äußerst
verknappten Szenen. Die "stalinrote wanderwegmarkierung" aus "schwarzgelbes stirn" hätte den "abgeschmierten kletterer" aus "3000er (lawinenlicht) sicher nicht gerettet; ein
Sturz unter vielen, der sich bis in die Struktur des Textes fortführt: "ZIEMLICH MASSIV, lobn wir / das einlulln durch nebel, binnen weniger mi / nutn diese 200m luft unterm hintern,
gli / tschiggewordener griff im nu.. di / krematoriertn, / in urnen heimgekehrtn söhne".
Ein Ziel des Hörbuchs könne nach Kling sein, vom Rezipienten den Satz zu hören: "Jetzt, wo ich Sie gehört habe, verstehe ich Ihre Texte viel besser!" Was sicherlich für die Lesungen
Arno Schmidts gelten kann, dessen Zeichensetzung sich im Vortrag des Autors wie selbstverständlich erklärt, gilt in geringerem Maße auch für Thomas Klings Texte. Kling kommt freilich
die Komposition Ritzenhoffs zu Hilfe, der scherzhaft die Realisation als Fortsetzung einer zu Recht vergessenen Vortragsform bezeichnet: "Ein Monodram. Eine Oper ohne Gesang.
Eine dilettantische Zumutung." Ritzenhoffs musikalisch-klangkünstlerische Begleitung erschöpft sich nicht in dumpfer Illustration. Da darf zwar auch die kalauernde allzu simple
Geräuschassoziation nicht fehlen, gleichwohl gelingt es Ritzenhoff, durch Sampling von Stimmen und musikalische Anleihen beim Jazz - einige Passagen erinnern allerdings frappant an
die morbid-komischen Avantgarde-Rocker "the Residents" - eigenständige Akzente zu setzen. Auf Dauer stellt sich gar eine eigentümliche Stimmung ein, die dem Text so wohl nicht von
vornherein mitgegeben war, ohne dass man den Vorwurf erheben müsste, der Text werde verfälscht; er gefällt sich nur in einer anderen Deutungsweise. Zum Vergleich nehme man Klings CD
einer Lesung aus "Fernhandel" zur Hand, die allein von der Stimme des Dichters lebt und ohne Inszenierung, Montage und Hintergrundrauschen auskommen muss. Allein, dieser Vergleich ist
ungerecht. Bei "TIROLTYROL" handelt es sich eben nicht um eine aufgezeichnete Lesung, die angesichts des hervorragenden Sprechers Kling auch ihre Qualitäten hat, sondern um ein
komplex arrangiertes Hörstück, das über weite Strecken zu überzeugen weiß und den vermeintlich schwierigen Sprachartisten Kling seinem Publikum ein wenig näher bringt.
Alexander Müller, literaturkritik.de, Ausgabe 12/2001