2013 // frankfurt // museum angewandte kunst
soundinstallation
komposition ritzenhoff
Man schreibt das Jahr 1607. König Heinrich IV. von Frankreich hat noch drei Jahre zu regieren, bevor er von Jesuiten als Hugenottenbeschützer ermordet wird. Es sind noch elf Jahre bis zum
Ausbruch des 30-jährigen Krieges, des ersten paneuropäischen Krieges der Geschichte. Man bereitet sich auf den Krieg vor, strebt aber nach dem Frieden. In Europa, von dem man jetzt nicht nur im
geografischen, sondern auch im gesamtkulturellen Sinne immer mehr spricht, wächst ein neues Zeit- und Lebensgefühl. Es herrscht ungewöhnliche Kälte und Hungersnot, Europa ist überbevölkert.
Vom Schrecken flüchtend bemüht man sich im Privaten um so mehr um Komfort und Bequemlichkeit, Schönheit und Vollkommenheit.
Es ist die Zeit der Wissenschaft und der Kunst, der Philosophie und der religiösen Disputs, der Mystik und Alchemie. Das gedruckte Buch wird zum Allgemeingut. Der Informationstransfer wächst
rapide. Es ist die Zeit Galileo Galileis und Johannes Keplers, Rubens und William Shakespeares, Valentin Andreae und René Descartes. Man ist auf der Suche nach allem Neuen: Nach dem
Irdischen Paradies im Übersee, nach der neuen geistigen Weltordnung, nach der allumfassenden Behaglichkeit.
In Nordamerika wird eine erste dauerhafte Siedlung von den Engländern gegründet, zugleich beginnt in Lateinamerika der wirtschaftliche Niedergang der iberischen Kolonialmächte. Während
Niederlanden weiterhin erfolgreich gegen Spanien kämpfen, erlebt das Land den Aufbruch in das Goldene Zeitalter: die Religionsfreiheit und Toleranz zieht die Menschen unterschiedlichsten
Konfessionen und Kulturen an, Schriftsteller und Gelehrte, die hier publizieren und lehren können. Das Land wird zu einem bedeutenden Zentrum des Wissens, der Kultur und Kunst, die holländischen
Schiffe beherrschen die Weltmeere, Amsterdam wird zur Welthandelsmetropole. Hier findet man nicht nur die exotischsten Früchte und Gewürze, sondern auch erlesene Kunstwerke und Ware aus aller
Welt. Von hier aus verbreiten sich in Europa neue Geschmäcke, Moden und Gewohnheiten: die Begeisterung für Tulpen führt zu einer bis dahin nicht gekannten Leidenschaft für die Kultur des Ostens,
das Tabakrauchen wird zur neuen Gewohnheit und zu einer bedeutenden staatlichen Einnahmequelle, der Kaffee und die Schokolade werden zu den begehrten Getränken der weltgewandten Reichen, wodurch
eine neue Trinkkultur entsteht. Durch den Überseehandel der Holländer mit China kommen exquisite Porzellane, wie die beliebten Ming-Vasen (Abb. 1), feine Seidenstoffe, mit Perlmutt und
Lackmalerei verzierte Kunstwerke, wie die feine Dose (Abb. 2), nach Europa. An allen europäischen Fürstenhöfen und bei den reichen Familien entwickelt sich ein Interesse an der ostasiatischen
Kunst. Europa entdeckt für sich den Luxus des Exotischen. Es ist noch weit bis zur galanten Zeit eines Versailles, wo der Prunk verschwenderisch wird. Es sind noch die alten Bräuche und Sitten zu
spüren, die Kultur der Europäer ändert sich aber schon schwungvoll, dadurch werden auch die neuen Tendenzen im Kunsthandwerk deutlich.
Der andauernde Kampf und die Wechselwirkungen zwischen Okzident und Orient nähern sich ihrem Höhepunkt, der Schlacht am Kahlberg 1683. Das Osmanische Reich, der Wort- und Machtführer der
islamischen Welt, scheint auf dem Gipfel der Macht zu stehen. Es wird sich in diesem Jahrhundert weit nach Norden ausbreiten, nach Süden erstreckt es sich bis nach Ägypten, Arabien und Persien.
Nie waren die Nachkommen der ersten großen Sultane so weit nach Norden und Westen vorgedrungen. Die islamische Kunst erlebt ihre Blütezeit und obwohl das alte persische Reich langsam seine
Machtposition aufgibt, stellt man von der balkanischen Halbinsel bis zum Mogulreich in Indien erlesene Kunstobjekte her.
Im fernen Osten hinter der Großen Mauer herrscht seit Jahrhunderten die mächtige Ming-Dynastie, ihre Zeit ist durch eine lange Friedensperiode gekennzeichnet, während der das Land sich zu einem
mächtigen, blühenden Staatswesen entwickeln konnte. Das China der Ming-Dynastie öffnet sich für den Handel mit der ganzen Welt. Die islamischen Länder sind zwar die nahesten Konsumenten (Abb. 3),
die chinesische Kultur und Kunst fasziniert aber vor allem die Europäer. Im 17. Jahrhundert werden die herrlichen chinesischen Porzellane in den westeuropäischen Kaiserhöfen und Palästen zum
Inbegriff für Luxus und guten Geschmack. Die chinesischen Porzellanmanufakturen arbeiten auf Hochtouren, um die westliche Welt mit herrlichen Porzellanstücken zu beliefern, die auch nach
Bestellung produziert wurden. Unter der Ladung des Schiffes „Witwe Leeuw" fanden sich z.B. Porzellane wie die Schale (Abb. 4). China wird bereits im 17. Jahrhundert zur starken Exportmacht.
Europa greift immer weiter nach Osten. Die holländischen Handelsschiffe sind die ersten Boten der zukünftigen Kolonialzeit.
Da das chinesische Porzellan unerschwinglich teuer ist für alle, die es haben wollen, versuchen die europäischen Töpfer, Glasmacher, Alchimisten unverdrossen, hinter das Geheimnis der
Porzellanherstellung zu kommen. Man experimentiert in den europäischen Manufakturen und Werkstätten unaufhörlich mit unterschiedlichen Bestandteilen und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen: Die
Delfter Töpfer ahmen die Originale nach, formen und bemalen ihre Fayencen so wie das chinesische Porzellan, bringen aber auch einheimische Motive auf die Teller, Krüge und Terrinen. Die
italienische Majolika verziert man mit feineren und exotischeren Ornamenten (Abb. 5).
Nicht nur die Erzeugnisse der chinesischen Manufakturen erobern das Abendland, auch westliche Produkte gelangen an die Höfe des Sultans, des persischen Schachs und des Kaisers von China, um
die Kunstfertigkeit der westlichen Meister zu demonstrieren. Durch die Bewunderung der orientalischen Oberschichten für die westliche Wissenschaft und Technik ist es für die christlichen
Missionare (Franziskaner- und Dominikanermönche sowie Jesuiten) leichter, den Zugang zu den breiten Bevölkerungsschichten zu bekommen. Der Jesuiten-Missionar HYPERLINK
"http://de.wikipedia.org/wiki/Matteo_Ricci" \o "Matteo Ricci" Matteo Ricci z.B. versucht, die buddhistische und daoistische Lehre mit dem Christentum in Einklang zu bringen. In Peking, wo Ricci
lebt, widmet er sich auf der einen Seite der Mission, auf der anderen betreibt er weiterhin naturwissenschaftliche Studien. Bei seinem Tode im Jahre 1610 soll es in China etwa 2000 bis 3000
chinesische Christen gegeben haben.
Das „Land der aufgehenden Sonne” wehrt sich Anfang des 17. Jahrhunderts erfolgreich gegen die entstehende Gefahr von Westen. Die anfangs guten Beziehungen zu den Ausländern verschlechtern sich
rasant, nachdem die Japaner über die Aufteilung der Erde durch den Papst erfuhren. Die Schogune betrachten die christliche Lehre als ein für ihre Macht destabilisierendes Element. Japan
verschließt sich für die Außenwelt. Nur die Niederländer, die Boten der Ostindischen Kompanie, die lediglich Handel getrieben hatten, ohne zu missionieren, wurden weiterhin als Handelspartner
geduldet, worauf das japanische Nanban-tsuba mit VOC-Monogramm deutet (Abb. 6). Für die Europäer bleibt die japanische Kunst und das Kunsthandwerk weitgehend unbekannt. Ihre eigenartige Tradition
und Bildsprache wird erst sehr spät entdeckt. China - ist für die Europäer der Orient.
Die Ausstellung „1607“ zeigt nicht die Geschichte eines Stils, einer lokalen Tradition des Kunsthandwerks oder ein Bereich des Alltagslebens. Sie versammelt Objekte, ungeachtet von Geografie oder
Herkunft: Vom Trinkhorn aus Island (Abb. 7) bis zum Firstziegel in Löwenform aus China (Abb. 8), vom den Pokalen aus Venedig und Nürnberg (Abb. 9) bis zum Pulverhorn aus Mogulreich (Abb. 10). Es
ist ein Querschnitt durch Länder, Stille, Ess- und Trinkgewohnheiten, Einrichtungs- und Kleidungsmode, ein globaler Blickes auf die Welt um das Jahr 1607.
(auszug pressetext 06.01.13, museum angewandte kunst frankfurt)